Natascha, erst einmal vielen Dank für deine Zeit. Seit Ende Dezember 2018 bist du eine der ersten Solotänzerinnen des prestigeträchtigen Wiener Staatsballetts – ein bedeutender Karriereschritt für dich. Wie hast du diese Ernennung erlebt? Hast du damit gerechnet?
Es war auf jeden Fall eine Überraschung. Ich kann mich noch gut erinnern. An diesem Tag habe ich mich voll und ganz auf die Nussknacker-Vorstellung fokussiert. Als ich nach der Vorstellung befördert wurde, war ich doppelt überwältigt. Ich konnte es nicht glauben.
Wenn man deinen Namen «googelt», stellt man fest: Du bist bereits von allen österreichischen Medien interviewt worden, hast mehr als 17’000 Followers auf Instagram (@nataschamair). Mit gerade mal 24 stehst du voll im Mittelpunkt. Wie gehst du mit diesem Erfolg um?
Ehrlich gesagt ist es mir gar nicht wirklich bewusst. Ich arbeite sehr viel, sehr hart und geniesse es sehr. Da liegt mein Fokus im Moment. Es freut mich natürlich aber auch sehr, wenn jemand mich und meine Kunst kennt.
Lass uns zu den Anfängen kommen: Woher hast du die Leidenschaft für das Tanzen?
Ich habe sehr früh angefangen, als ich fünf Jahre alt war. Die Motivation damals war eigentlich ganz trivial. Ich wollte einfach Spass haben und mich bewegen. Seitdem wollte ich einfach nicht mehr aufhören. Heute könnte ich mir ein Leben ohne Tanzen gar nicht vorstellen.
Seit 2012 bist du am Wiener Staatsballett engagiert. Wie gelangt man zu einem solch exklusiven Ensemble? Deine vorherigen Stationen haben zweifellos eine Rolle gespielt, oder …?
Damals habe ich die 7. Klasse in der Schule und Ballettschule übersprungen, um mich voll auf das Tanzen zu konzentrieren. Mit 17 habe ich dann meine Matura sowie mein Ballettdiplom erhalten. Ich wurde darauf am Wiener Staatsballett engagiert und alle zwei Jahre immer wieder befördert. Wieso ist es so? Ich würde sagen, dass es an einer Mischung aus harter Arbeit und Glück liegt.
2014 avanciertest du zur Halbsolistin, 2016 zur Solotänzerin und nun zur Ersten Solotänzerin. Zur Erinnerung für die Leser: Du bist erst 24 … Können Talent, Arbeit und Leidenschaft allein einen so erfolgreichen Werdegang erklären?
Ich bin jemand der immer hart arbeitet. Um so jung so Karriere zu machen, braucht man aber natürlich auch eine Portion Glück … und die richtigen Personen an seiner Seite. Hier haben meine Lehrer und der Direktor vom Wiener Staatsballett eine wesentliche Rolle gespielt und mich immer wieder gefördert.
“ Heute könnte ich mir ein Leben ohne Tanzen gar nicht vorstellen.“
Natascha Mair
Was bedeutet es für dich, für das Wiener Staatsballett tanzen zu können, und das seit einigen Monaten sogar als Primaballerina?
Es ist eine grosse Ehre, in so einem wunderschönen Haus täglich arbeiten zu dürfen. Es ist auch eine grosse Verantwortung und viel Druck, weil das Niveau absolut top ist. Dies erfordert Tag für Tag ein konstantes Engagement und eine Spitzenleistung.
Hat diese neue Rolle etwas an deiner Beziehung zu deinen Kollegen in der Truppe geändert?
Nicht, dass es mir bewusst wäre. Status hat für mich bei Arbeitskollegen keine Bedeutung. Wir sind alle Tänzer, alle Profis, die jeden Tag das Beste geben und hart arbeiten
Ballett ist eine wunderschöne, aber auch schweisstreibende Welt, die von körperlicher Anstrengung und intensiver Erschöpfung geprägt ist. Ist dies der Preis, den du zahlen musst, um dein ganzes Können und deine künstlerische Präzision auf die Bühne zu bringen?
Ich denke schon. Persönlich bin aber gerne müde und erschöpft am Ende eines Tages. Das ist definitiv ein schönes und positives Gefühl.
Viele Menschen tragen das Bild in sich, dass eine klassische Tänzerin ihre Zeit meistens im Studio verbringt, dass sie dünn und zerbrechlich ist und sich nur von Mineralwasser, Früchten und Gemüse ernährt. Wie sieht es bei Natascha Mair aus?
Ich verbringe tatsächlich viel Zeit im Ballettsaal, das ist definitiv so. Essen gehört jedoch dazu! Die vielen Stunden des täglichen Trainings verbrauchen eine Menge Kalorien. Ohne sich richtig zu ernähren und genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen, wären wir alle nicht in der Lage dies zu tun. Noch weniger auf so hohem Niveau.
In einer kürzlich vom Royal Ballet of London veröffentlichten Studie kann eine Tänzerin bei Landungen 410 kg Kraft sammeln. Hast du ein bestimmtes Fitness- und Ernährungsprogramm, um solche Leistungen langfristig erbringen zu können?
Jeden Morgen mache ich tatsächlich bestimmte Übungen. Ziel ist hier vor allem, Verletzungen vorzubeugen. Ich achte auch besonders auf eine gesunde Ernährung.
In Bezug auf Anforderungen und Arbeit stelle ich mir vor, dass du vom Direktor des Wiener Staatsballetts, Manuel Legris, besonders herausgefordert wirst. Wie ist die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Ersten Solisten der Pariser Oper?
Er ist ein wahnsinnig guter Coach und Direktor. Ich bin sehr froh, mit ihm arbeiten zu dürfen. Es ist auch ein Privileg. Mit Manuel lernt man Tag für Tag sehr viel.
Wenn ich dir sage: «Lucia di Lammermoor» von Gaetano Donizetti oder «Rêveries» von Claude Debussy, inspiriert dich das künstlerisch?
Klar. Ich finde in so vielen Künstler und Werken Inspiration. Das macht auch diesen Beruf als Tänzerin so spannend. Die Inspiration ist grenzenlos und man kann sich immer wieder neu erfinden und weiterentwickeln.
Apropos Träume: Hast du in Sachen Ballett noch welche? Und was würdest du um jeden Preis tanzen wollen?
Sehr viele. Ganz oben auf der Liste würde ich Julias Rolle in Shakespeares Romeo und Julia erwähnen. Die Rolle von Manon in der Oper des französischen Komponisten Jules Massenet interpretieren zu können, wäre absolut Spitze. Und schliesslich, wie kann man nicht davon träumen, einmal die Rolle von Alice im Wunderland interpretieren zu können.
Wo steht Natascha Mair in zehn Jahren?
Hoffentlich noch auf Spitze.
Über Natascha Mair
Geboren in Wien. Nach ihrer Ausbildung an der Ballettschule der Wiener Staatsoper, wo sie unter anderem bei Gabriele Haslinger, Karen Henry, Galina Skuratova und Prof. Evelyn Téri studierte, wurde sie 2012 beim Wiener Staatsballett engagiert. 2014 avancierte sie zur Halbsolistin des Wiener Staatsballetts, 2016 zur Solotänzerin. 2018 wurde sie zur Ersten Solotänzerin ernannt.
Zu ihren wichtigsten Rollen zählen Clara sowie Pastorale in Rudolf Nurejews «Der Nussknacker», Henriette in Nurejews «Raymonda», Kitris Freundin, Amor und Erste Brautjungfer in Nurejews «Don Quixote», Gefährtin des Prinzen, Kleiner Schwan, Edelfräulein und Neapolitanischer Tanz (Solistin) in Nurejews «Schwanensee», Lise in Frederick Ashtons «La Fille mal gardée», Swanilda in Pierre Lacottes «Coppélia», Gulnare und Odaliske in Manuel Legris’ «Le Corsaire», Kronprinzessin Stephanie in Kenneth MacMillans «Mayerling», die verzauberte Prinzessin in Peter Wrights «Dornröschen», Olga in John Crankos «Onegin», Faschingstanz in Crankos «Romeo und Julia», die Titelrolle in Patrick de Banas «Marie Antoinette», Alexandra Baldina in John Neumeiers «Le Pavillon d’Armide», Solo-Schatten in Marius Petipas und Rudolf Nurejews «La Bayadère», Ein Bauernpaar in Elena Tschernischovas «Giselle», Hermia in Jorma Elos «Ein Sommernachtstraum», Eine Najade (Solistin) in Manuel Legris’ «Sylvia» und Julia in Davide Bombanas «Roméo et Juliette». Zudem tanzte sie in Balletten von George Balanchine («Allegro Brillante», «Valse Fantaisie» und «Symphonie in C»), Marius Petipas «Paquita» (Ausschnitt), Serge Lifars «Suite en blanc», Harald Landers «Études», Pierre Lacottes «La Sylphide», William Forsythes «The Second Detail» und «Artifact Suite», John Neumeiers «Vaslaw» und «Bach Suite III», David Dawsons «A Million Kisses to my Skin», Jorma Elos «Glow – Stop» (Ausschnitt), Kenneth MacMillans «Concerto» und Wayne McGregors «EDEN|EDEN». In Daniel Proiettos «Blanc» kreierte sie eine negative Sylphide.
Auszeichnungen: 2012 wurde sie beim Internationalen Wettbewerb für Ballettschulen in Peking mit dem Preis der Jury ausgezeichnet und erhielt den ersten Preis beim Premio Roma Danza, 2014 erhielt sie den Förderpreis des Ballettclub Wiener Staatsoper & Volksoper.